Treks Carbon-Story

Unter dem Lack

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Hast du dich schon mal gefragt, was sich bei deinem Bike unter der Lackierung verbirgt? Früher verriet ein einfacher Aufkleber auf dem Rahmen die Herkunft der Stahlrohre – vielleicht Reynolds oder Columbus –, die der Rahmenbauer in aufwändiger Handarbeit verbaut hatte, nur um kurz darauf unter einer Schicht Lack zu verschwinden.

Und wer hätte gedacht, dass die heutigen Carbon-Rahmen von Trek diese verborgene Handarbeit mit ihren Ahnen aus Stahl teilen? Unsere Bikes werden am Computer konstruiert, mithilfe von Strömungsdynamik-Software untersucht und per Finite-Elemente-Methode analysiert. Das Ergebnis sind nahtlose Formen und Profile, wie sie eigentlich nur von Maschinen erzeugt werden können.

Das Fertigungsverfahren für unsere Carbon-Bikes am Trek-Firmensitz in Waterloo hat sich über die Jahre weiterentwickelt – vom Verkleben vorgeformter Carbon-Rohre in Muffen aus Aluminium anno 1988 bis zu einem komplett neuen Prozess, bei dem unterschiedliche Carbon-Materialien in mehreren Pressformen zu einem rundum modifizierbaren und meisterhaft konstruierten Endprodukt kombiniert werden.

Und trotz der ganzen Weltraum-Technologie werden unsere Rahmen tatsächlich aus einem dünnen Bogen Carbon-Gewebe gefertigt, komplett von Hand und ohne auf Rohre oder Muffen von externen Zulieferern zurückzugreifen. Paradoxerweise setzt Trek heute bei der Fertigung seiner Bikes auf mehr Handarbeit als je zuvor.

Die Sache ist weit aufwändiger als ein paar Carbon-Matten in eine Form zu legen und mit Epoxidharz zu verpressen. Auch wenn der ganze Prozess bei diesen Pressformen anfängt. Bei Trek werden die Pressformen von einem Ingenieur-Team unter der Leitung von Jay Thrane in derselben roten Scheune in Waterloo maßgefertigt, in der Dick Burke und Bevil Hogg das Unternehmen einst gründeten und wo in den 1970ern Tausende Stahlrahmen gefertigt wurden. Heute ist die alte Scheune der Ort, an dem die Formen für Tausende von Carbon-Rahmen entstehen. Je nach Verwendungszweck wird jede dieser Pressformen aus einem festen Block Aluminium oder Stahl gefertigt und dann per CNC-Verfahren in die gewünschte Bauteilform gefräst. Jetzt beginnt der schwierige Teil: Immer ausgefeiltere Rahmendesigns erfordern immer komplexere Formen. Früher spuckten die Fräsmaschinen fünf Pressformen pro Woche aus. Heute sind es – trotz einer größeren Anzahl rund um die Uhr laufender Maschinen – gerade mal eine oder zwei Formen.

Sobald die Pressformen im knapp zwei Kilometer entfernten Carbon-Labor ankommen, kann das „magische schwarze Zeug“ geschnitten und sortiert werden. Neben den ingenieurtechnischen Aspekten bei der Fertigung eines Carbon-Rahmens hat der Layup-Prozess viel mit dem Schneiderhandwerk gemein. Und je weiter der Prozess fortschreitet, desto mehr ähnelt er der kunstfertigen Arbeit eines Schneiders als dem traditionellen zusammenfügen von Rohren und Muffen.

Jim Colegrove, Composites Manufacturing Engineer bei Trek, erklärt: „Wir arbeiten hier mit äußerst fortschrittlicher Software. Zuerst erzeugen wir mit CAD die 3D-Form des Rahmens. Jedes Teil kann ich in bestimmte Abschnitte zerlegen und dann in eine zweidimensionale Gitterform umwandeln – ein perfektes Muster, das sich später passend in die Pressform legen lässt. Dieses Muster ist ein so genannter flacher Vorformling, der dann auf unserem CNC-Schneidtisch zugeschnitten wird.“

Vorformlinge sind der Schlüssel dafür, dort für Festigkeit zu sorgen, wo sie wichtig ist, und dort Gewicht zu sparen, wo sie eine untergeordnete Rolle spielt. Um das zu erreichen, wählen die Ingenieure das passende Material für jede Form und jede Anwendung aus. Carbon-Spezialist Hexcel fertigt das gesamte Carbon-Material, das Trek hier in Waterloo verarbeitet, und das schon seit 25 Jahren. Die Carbon-Fasern werden komplett in den USA (Salt Lake City, Utah) hergestellt und sind in den Festigkeitsgraden Standard-Modulus, Intermediate-Modulus, High-Modulus und Ultra-High-Modulus sowie, je nach Verwendungszweck, als Carbon-Gewebe und in unidirektionaler Anordnung verfügbar.

Jim, der vor seiner Arbeit bei Trek als Raumfahrt-Ingenieur tätig war, erklärt die Unterschiede:

„Wir verwenden Gewebe – das standardmäßige, schachbrettartige Carbon-Gewebe – in bestimmten Bereichen mit hoher Beanspruchung und hoher Schlagbelastung, da es über einzigartige Eigenschaften verfügt. Man kann es sich in etwa wie Ripstop-Nylon vorstellen, nur noch beschädigungstoleranter. Außerdem passt es sich viel besser an sehr komplexe Oberflächenkonturen an. Unidirektionales Carbon hingegen ist genau das, was der Name andeutet: Fasern, die in eine Richtung verlaufen. In der Faserebene ist es auch flexibel, aber komplexere Formen sind damit etwas schwierig zu realisieren. Jedes Material hat seine Vor- und Nachteile. Und nur mit viel Erfahrung und technischem Know-how lassen sich die bestmöglichen Strukturen daraus fertigen.

HexMC zum Beispiel ist ein einzigartiges Material aus kürzeren, geschnittenen Fasern. Sie werden in einer Art Layup-Simulation in einem zufälligen Muster auf einen Bogen geworfen. Den können wir dann äußerst erfolgreich in sehr komplexe Formen pressen, weil keine langen, kontinuierlichen Fasern im Weg sind. Allerdings verfügt das Endprodukt nicht über dieselbe Festigkeit und Steifigkeit wie unidirektionales Carbon oder Carbon-Gewebe. Das Tretlagergehäuse ist ein gutes Beispiel: Vom Steuerrohr her und der Belastung durch den Fahrer ist es großen Torsions- und Biegekräften ausgesetzt und muss daher besonders hohe Steifigkeits- und Festigkeitswerte aufweisen. Also fügen wir in diesen bestimmten Bereichen kleine Streifen aus High-Modulus- oder Ultra-High-Modulus-Material ein, um diese Werte zu erreichen.“

Auf den ersten Blick könnte man denken, dass ein Carbon-Rahmen wie eines dieser Modellflugzeuge aus Plastik gefertigt wird. Tatsächlich aber ist es ein höchst komplizierter Prozess. Der Rahmen des Madone besteht aus ungefähr 180 Vorformlingen bzw. einzelnen Carbon-Bögen, die übereinander gelegt werden können, um die Festigkeit dort zu erhöhen, wo sie benötigt wird. Für den Rahmen des Downhill-Bikes Session sind 238 Vorformlinge erforderlich, wobei jeder einzelne zwischen zwei und zwölf Lagen Carbon-Material (entweder unidirektional, Gewebe oder HexMC) aufweisen kann. Das ist ein äußerst komplexer Schneidprozess. Carbon ist ein wunderbares Material, dessen korrekte Verarbeitung ein fundiertes technisches Wissen voraussetzt. Ohne das entsprechende Know-how erhält man entweder zu schwere oder zu instabile Strukturen.

Die Tatsache, dass die Vorformlinge für größere Rahmen meistens entsprechend mitwachsen müssen und dass mehr Material benötigt wird, um die Belastungen auf das Bike durch größere Fahrer zu kompensieren, machen die Fertigung von Carbon-Rahmen noch komplizierter. Und trotzdem sind die Wände dieser hochverstärkten Rohre nur um die 1,5 mm dick.

Kelly Stone und Sue Moe, die zusammen auf eine mehr als 46-jährige Erfahrung in der Verarbeitung von Carbon-Fasern zurückblicken, sind bei Trek die Kunsthandwerkerinnen in der Abteilung für Carbon-Prototypen. Sie erinnert das Material eher an einen Bogen aus Karamell, das klebrig und biegsam ist und bei steigender Temperatur immer weicher wird.

Wie Kelly uns erklärt, braucht sie einen Bogen nur in ihre erfahrenen Hände zu nehmen, um zu erkennen, ob er für den gewünschten Verwendungszweck geeignet ist.

„Man spürt definitiv einen Unterschied zwischen den verschiedenen Materialarten oder ob etwas nicht in Ordnung ist, ob der Harzanteil vielleicht nicht stimmt. Die Ingenieure geben uns vor, welche Layups und Komponenten wir für unsere Tests verwenden sollen, aber nach der Evaluierung lassen sie uns unsere eigenen Teile fertigen und testen.“

Kelly und Sue kennen die Vorgehensweise, die Kühlzeiten, die idealen Temperaturen und die Belastungsgrenzen des Materials in- und auswendig. Sie geben Jim und seinen Ingenieuren sachkundiges Feedback darüber, was während des Layup-Prozesses funktionieren wird und was nicht. Ein Großteil dieses Wissens basiert allerdings nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen – Erfahrung spielt bei Trek eine wichtige Rolle. Sie haben bereits so viele Rahmen gefertigt und getestet und so viele Daten gesammelt, dass sie der Konkurrenz in Sachen Rahmenentwicklung um einiges voraus sind.

Mr. Plaid verteilt das Formtrennmittel in einer Pressform und platziert einen Vorformling in den Hohlraum. Er erklärt uns die nächsten Schritte: Je nach Form werden noch Blasen hinzugefügt und dann wird die Form verschlossen und in die Presse geschickt. Diese quetscht die Fasern zusammen und drückt das Material in die richtige Form, während überschüssiges Harz beseitigt wird.

Für den Umlenkhebel des neuen Session allein werden 40 einzelne Vorformlinge benötigt. Genau wie ein Schneider, der die Vorspannung eines Stoffes nutzt, um eine bestimmte Passform oder Beschaffenheit zu erzielen, legen unsere Ingenieure das Carbon in die Pressform, um das festeste (und leichteste) Ergebnis zu erzielen. Das Layup einer Pressform für ein einzelnes Teil wie die Hinterbauschwinge dauert ungefähr zehn Minuten. Die herkömmliche Vorstellung, ein pressgeformtes Carbon-Bauteil wäre schneller und einfacher herzustellen als ein CNC-bearbeitetes Aluminium-Teil, ist somit wohl hinfällig. Sobald alle Teile gesäubert und ausgekühlt sind, kann der nächste Schritt beginnen.

Im Fall des Madone erfolgt das Zusammenfügen der geformten Komponenten zu einem Rennradrahmen erstaunlich schnell. Mithilfe von Epoxidkleber werden die einzelnen Streben, das Tretlagergehäuse und die Teile des Hauptrahmens verklebt. Dabei setzt Trek auf seine eigenentwickelte Step Joint-Technologie, bei der Verbindungen mit derselben Dicke wie die der angrenzenden Rohre erzeugt werden können, um zusätzliches Gewicht oder schwankende Fahreigenschaften zu vermeiden. Nachdem sich der Kleber verfestigt hat, kann der Rahmen auf eine korrekte Ausrichtung hin getestet und an die nächste Station übergeben werden: Finish und Lackierung – wo für einen Markt, der laut Jim immer mehr für immer weniger Geld verlangt, die Spuren der fachmännischen Handarbeit und der verwendeten Technologien verwischt werden.

„Ich werde oft gefragt, warum Trek die Carbon-Rahmen weiterhin hier fertigt, während der Rest der Branche seine Produktion mittlerweile nach Übersee verlagert hat – was, ehrlich gesagt, auch auf einen Großteil der übrigen Trek-Rahmen zutrifft. Warum haben wir die Fabrik hier noch nicht aufgegeben? Meine Antwort auf diese Fragen ist immer dieselbe: Man kann keine innovativen, hochwertigen Produkte fertigen, wenn man die Wissenschaft dahinter nicht hundertprozentig versteht. Um die Funktionsweise von Rahmen und Carbon-Strukturen wirklich zu verstehen, muss man sie einfach selber bauen. Für neue Designs ist es unerlässlich, dass unsere Ingenieure die Pressformen fräsen, das Carbon einlegen und Zeuge werden, wie ihre Entwürfe Form annehmen. Die Fertigung in dieser Fabrik ist sehr teuer, aber genau darum ist das Endprodukt auch besser. Und darum machen wir es selbst. Für uns kommt es nicht infrage, dass irgendwo auf der Welt jemand anderes die Kontrolle über unser Produkt hat. Unser Ziel ist es, die Branche anzuführen. Das war schon damals so, als ich 1990 bei Trek anfing. Und das ist auch der Grund, warum ich jeden Tag zur Arbeit komme.“